Anfang November 2017 wurden die Social Media Giganten Facebook, Google und Twitter vor den US-Kongress zitiert. In der > Anhörung ging es darum, ob und wie „russische Agenten“ die Plattformen im Zuge der US-Wahl 2016 „missbraucht“ hatten, um Einfluss auf das Wahlergebnis zu nehmen. Seither haben alle drei Plattformen ihre Standards für automatisierte Aktivitäten überarbeitet.
Was die neue Twitter Nutzungsbedingungen für Account Manager bedeuten? Lesen Sie hier
Ob es nun an den sogenannten russischen Trollen lag, oder ob, – wie der Cambridge-Analytica-Skandal nahelegt – vielleicht auch andere „Entitäten“ dabei ihre Finger im Spiel hatten, sei hier einmal dahingestellt. Fakt ist: Automatisierung von Aktivitäten auf Plattformen wie Twitter und Facebook ist erwünscht – und besonders im Marketing auch wichtig. Im Sinne der Effizienz werden Social-Kundenaccounts von Marketern immerhin schon lange über externe Tools von Drittanbietern bespielt, überwacht und ausgewertet. Schließlich hat kaum jemand, der seinen Lebensunterhalt mit Social-Media-Arbeit verdient Zeit, von morgens bis abends in den diversen Kanälen seiner Kunden mit Vollgas aktiv zu sein. Wer effizient arbeiten will, muss Automatisierung nutzen, um Zeit zu sparen und relevanten Content zu generieren. Das weiß auch Twitter.
Es ist daher kaum zu erwarten, dass Brand Accounts durch die Nutzung von Automatisierungs-Tools zukünftig einen Nachteil erleiden werden. Immerhin sind Marken vor allem Werbekunden. Twitter ist auf deren Willen zur Zusammenarbeit und ihr Werbebudget angewiesen. Renommierte Software-Anbieter haben ihre Dienste außerdem längst an die neuen Twitter-Nutzungsbedingungen angepasst.
Die neuen Twitter Nutzungsbedingungen und Anti-Spam-Maßnahmen, die Twitter am 21. Februar 2018 mit dem Blogbeitrag von Yoel Roth angekündigt hatte, sollte man deshalb etwas entspannter und vor allem vor einem technischen Hintergrund betrachten. Denn die Ankündigung richtet sich in erster Linie ja an Twitter-Developer – nicht an Endnutzer.
Automatisierung – von Bots bis Spam
Für Twitter-Entwickler ist es kein Geheimnis: Durch die hohen Publikationsfrequenzen, die Möglichkeiten zu kontextfreie Kommunikation und die speziellen Eigenheiten des Twitter-Algorithmus war es in der Vergangenheit für „Experten“ nie wirklich ein großes Problem, durch Automatisierung Themen zu boosten und Trends zu erzeugen. Diese entstehen schließlich ganz logischerweise immer dann, wenn viele, meist einflussreiche Accounts mit hoher Reichweite in kurzen Abständen und hoher Menge über ein bestimmtes Thema tweeten, re-tweeten und sich so gegenseitig verstärken.
Wie das funktioniert, ist am besten am Beispiel der Politik zu erkennen, insbesondere im US-Wahlkampf (vgl. wired, How Election Bots Work). In diesem Bericht heißt es: „Sam Woolley, a researcher from Oxford University’s Project on Computational Propaganda [states that] about 50 to 55 percent of [Hillary] Clinton’s Twitter activity—the likes, follows, and retweets she gets—is from bots, which is typical for high-profile public figures.„ Beim Account von Donald Trump liegt der Anteil dem Forscher zufolge sogar bei ca. 80 Prozent. Solche Bots haben ein enormes Potenzial, automatisiert Content zu produzieren. Kaum ein Mensch dürfte diesen elektronischen Entitäten im Hinblick auf Verhalten, Masse, Ausdauer und Frequenz das Wasser reichen können. Das sollte man schon berücksichtigen, wenn man verstehen will, was Twitter mit „Spam-Verhalten“ eigentlich meint.

Das Unternehmen schreibt die meisten Spam-Vergehen auf seiner Plattform der simultanen Nutzung mehrerer Accounts zu, die versuchen, durch ihr Verhalten Tweets und Themen künstlich aufzublasen oder zu verstärken. Nicht jeder Nutzer, der zum Beispiel einen Content von einer Website auf zwei oder drei Accounts teilt, ist deshalb gleich ein Spammer – vor allem nicht, wenn er dies manuell erledigt. Man sollte bedenken: Auch der Twitter Algorithmus ist kein allwissender heiliger Geist, sondern einfach nur ein komplexes Programm. Als solches muss es klare und möglichst eindeutige Messwerte zugrunde legen, um Aktivitäten potenziell als Spam zu identifizieren. Der Zeitfaktor und die schiere Masse von Tweets innerhalb kurzer Zeit sind dabei ebenso relevante Faktoren, wie der „Client“ von dem aus automatisiert getwittert wird. Daran kann der Algorithmus am besten Menschen von Spam-Maschinen unterscheiden.
Eine menschliche Spam-Machine – geht das?
Einen Spam-Effekt können Sie selbst sehr leicht provozieren, indem Sie versuchen auf Ihrem Twitter-Account verschiedene Inhalte gleichzeitig über mehrere geöffnete Browsertabs zu posten. In der Vergangenheit haben wir inhouse diesbezüglich immer wieder mal Stresstests durchgeführt. Vorrangig ging es uns dabei darum, zu erkennen, wie Twitter auf verschiedene Aktivitäten reagiert. Zum Beispiel auf das Akquirieren von Followern oder eben massives Posten. Dabei ist es uns dann schon gelegentlich passiert, dass das Test-Konto gesperrt wurde und über eine E-Mail-Authentifzierung wieder freigeschaltet werden musste. Der Algorithmus hatte beim Simultan-Posten über mehrere Tabs parallel stattfindende Aktivitäten in einem sehr kurzen Zeitraum erkannt und eine Bot-Aktivität angenommen. Das Ergebnis: Sperre. Keine neue Erkenntnis also, außer vielleicht, dass nicht jeder Mensch per Definition dazu geeignet ist, einen Bot zu imitieren.

TweetDeck: Der größte „Spammer“ saß im Twitter im Nest
Automation, die auf Spam-Aktivitäten hindeutet (Twitter-Regeln -> Abschnitt „Spam and Security“), wurde von Twitter schon immer gemonitort und konnte mitunter auch früher schon zur Sperrung eines Accounts führen. Tools wie das Twitter-eigene TweetDeck hatten solche problematischen Verhaltensweisen aber ebenfalls erlaubt – und wurden scheinbar lange nicht als problematisch eingestuft. Damit ist jetzt Schluss. Die neuen Twitter Nutzungsbedingungen für Devs und Applikationen erlauben das gleichzeitige Teilen von Content über mehrere Accounts hinweg nicht mehr und das gilt insbesondere auch für TweetDeck. Das Twitter API hat entsprechende Änderungen erfahren, die dafür sorgen, dass bestimmte koordinierte Aktionen nicht mehr unterstützt werden. Das heißt, auch andere Third-Party-Tools, die im Social-Media-Marketing genutzt werden, mussten ihre Technik für Nutzer und Kunden anpassen.
Laut Twitter geht es vorrangig darum „malicious activity“ – also bösartige Aktivitäten einzudämmen. Glaubt man dem Dienst, sollen in Zukunft auch Wahlen in diese Unternehmenspolitik einbezogen werden, was natürlich die spannende Frage aufwirft, wie sich die Strategien der US-Parteien im Hinblick auf die Nutzung von Election Bots im Jahr 2020 verändern werden.
Was also ist „verboten“ – was geht?
Noch mal zur Erinnerung: Die im Twitter-Developer-Blog aufgeführten Anforderungen richten sich in erster Linie ausdrücklich nicht an Endnutzer, sondern an Programmierer, Entwickler oder Software-Anbieter, die das Twitter-API nutzen, um Dritten (ggf. kostenpflichtige) Dienste zur Twitter-Verwaltung und zur Social-Media-Arbeit anzubieten. Diese Devs und Dienste müssen nun dafür Sorge tragen, dass ihre Nutzer (also Kunden) mit den bereitgestellten Tools
- nicht mehr gleichzeitig (simultan) oder nacheinander vorausgeplant identische oder sich stark ähnelnde Beiträge über mehrere Accounts verteilt posten können. Das betrifft vor allem Dienste wie den bereits erwähnten Twitter-eigenen Dienst TweetDeck, und andere Tools, die es Nutzern bis dato erlaubt hatten, verschiedene Accounts gleichzeitig auszuwählen, um einen Tweet simultan oder in einem bestimmten Zeitrahmen auf mehrere Kanäle zu pushen. Twitter erlaubt natürlich weiterhin, Themen zu verstärken (sog. „Amplifying“), indem man sie auf einen Account twittert und mit seinen anderen Accounts re-tweetet. Allerdings gelten auch beim Re-tweeten Regeln: Wird hier eine Bot-Aktivität erkannt, etwa, wenn die Masse der re-tweetenden Accounts verdächtig hoch ist, geht Twitter von „bulk, aggressive, or very high-volume automated Retweeting“ aus, was ebenfalls zur Sperrung der beteiligten Accounts führen kann. Solange man nur mit einigen wenigen, speziell zum Thema passenden Accounts re-tweetet, besteht hier aber keine Gefahr. Und um es ganz deutlich zu machen: „very high-volume automated Retweeting“ sorgt in der Regel dafür, dass ein Tweet innerhalb weniger Minuten oder Stunden wenigstens vierstellige Likes und Retweets erreicht, was meist ganz klar auf ein großes Bot-Network in Hintergrund hinweist.
- nicht mehr gleichzeitig (also simultan) Liken, Retweeten, oder einem Account mit verschiedenen Accounts gleichzeitig folgen können. Die betroffenen Services hatten es ihren Usern bisher erlaubt, mehrere Accounts gleichzeitig auszuwählen und dann die o.g. Aktionen durchzuführen. Einige automatisierte Bot-Accounts pflegten häufig auch, ihrerseits allen Followern eines neuen Follower-Accounts zu folgen, um ihre eigene Follower-Base schneller zu vergrößern. Das ist darunter zu verstehen, wenn Twitter von „aggressive or inorganic following behavior“ spricht.
Wer muss reagieren?
App-Entwickler, die ihren Nutzern Programme zur Automation von Prozessen zur Verfügung stellen, wurden angehalten, technische Vorkehrungen zu treffen, die die oben genannten, problematischen Verhaltensweisen unterbinden. Es soll so vor allem verhindert werden, dass #Hashtags künstlich aufgeblasen werden, indem sie zeitgleich zu mehreren Hundert oder Tausenden über viele verschiedene Accounts verbreitet werden, wodurch dann ein „Trendig Topic“ entstehen kann. In der Fachsprache nennt man dieses Verhalten auch „Cross-Posting“.
Automatisiert zu Cross-posten (und auch hier liegt die Betonung klar auf „automatisiert“) wird ab sofort nur noch bestimmten Diensten erlaubt sein. Ausnahmen gelten etwa für Apps von Brodacastern oder Wetterdiensten, für Notfalldienste oder öffentliche Services, die z.B. eine Warnfunktion erfüllen, – also Anbieter, deren Inhalte im öffentlichen Interesse eine möglichst hohe Verbreitung erlangen sollten.
Anbieter, deren Apps die oben genannten problematischen Features ermöglicht hatten, wurden im zitierten Blogbeitrag bereits Ende Februar von Twitter aufgefordert, ihre Dienste bis zum 23. März 2018 entsprechend anzupassen, um Gegenmaßnahmen, ggf. auch Sperrung der App und der darüber verwalteten Accounts zu vermeiden. Social-Media-Dienste wie HootSuite haben frühzeitig auf diese Änderungen reagiert und ihre Tools entsprechend angepasst: https://help.twitter.com/en/rules-and-policies/twitter-rules